Mit allen Sinnen

Titelbild: Fraunhofer IOF

Roboter werden feinfühlig und intelligent. Damit helfen sie in der Medizin, bohren Löcher auf der Baustelle oder fahren in Schwärmen durch die Fabrikhalle.

Die Pandemie hat die Vorteile der Automatisierung deutlich gemacht. Automatisierte Produktionssysteme gewährleisten volle Regale in den Supermärkten. Dank ihnen läuft die Fertigung auch im Lockdown weiter. Roboter müssen nicht in Quarantäne. Und sie helfen dabei, die Produktion von dringend benötigten Medizinprodukten hochzufahren.

Die Krise zeigt: Der Roboter ist mehr als nur ein Jobkiller. Und er wird zunehmend intelligenter und feinfühliger. Das ist einer der Top-Trends, die der Roboter-Weltverband IFR (International Federation of Robotics) vor kurzem aufgelistet hat. Roboter, die in der Industrie arbeiten, werden verstärkt mit Künstlicher Intelligenz, Bildverarbeitung und anderen Sensorsystemen ausgestattet, um neue anspruchsvolle Aufgaben zu meistern. Als Beispiel nennt die IFR das Sortieren von Abfällen auf einem Förderband, das bisher nur von menschlichen Händen erledigt werden konnte.

Dabei schärfen die Hersteller die Sinne ihrer Roboter. OnRobot hat beispielsweise einen Greifer mit Fingerspitzengefühl entwickelt. Die künstliche Hand kann empfindliche Materialien wie etwa dünnes Glas ertasten. Spezielle Sensoren sorgen für die nötige Sensibilität. „Das kann man sich in etwa so vorstellen, wie wenn ein Mensch mit geschlossenen Augen einen Bleistift ertastet und in die Hand nimmt“, sagt OnRobot-CEO Enrico Krog Iversen, CEO. Näherungssensoren erfühlen das Objekt, bis der Greifer es sicher fassen kann. Der Kraftaufwand wird dabei präzise dosiert, sodass der Greifer einen Gegenstand zentriert greift und bei der Übergabe an den Menschen im richtigen Moment loslässt. Damit ausgestattet wäre ein Roboter in der Lage, zum Beispiel mit medizinischen Testproben zu arbeiten.

Roboter können aber nicht nur fühlen, sondern auch sehen. Dafür sorgt zum Beispiel eine hochauflösende Kamera des Unternehmens Photoneo. Diese soll dem Roboter quasi Adleraugen verleihen. Die Kamera hat laut Hersteller die weltweit höchste Auflösung und Genauigkeit. Sie erfasst Objekte, die sich mit einer Geschwindigkeit von bis zu 140 Kilometern pro Stunde bewegen. Roboter könnten damit etwa im Onlinehandel, in der Lebensmittelverarbeitung, Abfallsortierung oder als Assistenzsystem bei der Ernte in der Landwirtschaft arbeiten.

Vor allem der Sehsinn bietet in der Automatisierung große Möglichkeiten. Die Verbindung von Computer Vision und Künstlicher Intelligenz habe zu großen Performance-Sprüngen geführt, sagt Jonathan Balzer, Technik-Chef des Robotik-Startups Vathos. „Sobald die Maschine beginnt, ihr Umfeld wahrzunehmen, ist die Voraussetzung geschaffen, dass sie autonom handelt“, so Balzer.

Die Fähigkeit zu sehen ist außerdem der Schlüssel, um die Programmierung und Bedienung des Roboters zu vereinfachen. So haben etwa Wissenschaftler des Fraunhofer Instituts für Werkzeugmaschinen (IWU) eine Gestensteuerung für Roboter entwickelt. „Konventionelle Bedienelemente wie Knöpfe und Schalter werden überflüssig“, erklärt Paul Eichler, Projektleiter in der Abteilung für Robotertechnik am Fraunhofer IWU. „Die Beschäftigten können sich ganz natürlich bewegen, um mit den Robotern zu interagieren – als würden sie einem anderen Menschen in der Fabrik per Handzeichen ein ‚Stopp‘ oder eine Richtung anzeigen.“

Vergleichbar ist die Technik mit der, die viele Menschen von der heimischen Computerspiel-Konsole kennen. Diese erfasst die Bewegungen der Nutzer und überträgt sie in entsprechende Spielmanöver. Der Unterschied ist lediglich, dass beim System des IWU keine Aktionen in einem virtuellen Spiel, sondern echte Roboter in einer Fabrik gesteuert werden.

Gesten erkennt auch das Robotersystem 3D-Kosyma des Fraunhofer Instituts für angewandte Optik und Feinmechanik (IOF). Um die Qualität eines Produkts zu kontrollieren, muss der menschliche Mitarbeiter nur auf die zu prüfende Stelle hinweisen. Das kann zum Beispiel eine Autotür sein. Der Mitarbeiter zeigt mit seinem Finger auf die Stelle, an der er den Schaden in der Außenhaut der Tür vermutet. Daraufhin erwacht der mit 3D-Sensoren ausgerüstete Roboter zum Leben. Er erkennt die Fingerposition des Forschers und folgt der angezeigten Richtung. Die mit dem Sensor erfassten Daten verarbeitet das System anschließend und gleicht sie mit fehlerfreien Oberflächen ab, um Größe und Umfang des Defektes am Bauteil zu erfassen.

3D-Kosyma reagiert auf Fingerzeig. Bild: Fraunhofer IOF

Mit mehr Intelligenz und neuen Sinnen können Roboter auch neue Einsatzgebiete erobern. Das ist ein weiterer Trend, den die IFR sieht. Dazu zählen die Experten etwa die Lebensmittel- und Getränkeindustrie, Textilbranche sowie Holzverarbeitungs- und Kunststoffwirtschaft. Selbst beim Häuserbau leisten Roboter mittlerweile Unterstützung. Ein Roboter des Werkzeugherstellers Hilti übernimmt die Bohrungen bei Installationsarbeiten – etwa im Heizungs-, Klima- und Lüftungsbereich. Dort soll er die menschlichen Arbeiter entlasten und ihnen zum Beispiel Überkopfarbeiten abnehmen.

Zurück zu den Produktionsprozessen: Diese können dank Robotertechnik flexibler ablaufen – auch das laut IFR einer der aktuellen Trends. Flexibilität bringen zum Beispiel mobile Roboter beziehungsweise fahrerlose Transportsysteme (FTS), die sich selbstständig durch die Fabrikhallen bewegen. Anstelle von Fließbändern bringen sie die Bauteile zu den Maschinen. In der Automobilindustrie beispielsweise lassen sich so Karosserien zu Stationen umleiten, an denen individuelle Varianten montiert werden. Bei vollständigen Modellwechseln müssen nur die Roboter oder FTS neu programmiert werden, statt die gesamte Produktionslinie ab- und umzubauen.

Das Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) arbeitet etwa an Lösungen, bei denen mobile Roboter intelligent miteinander agieren und unter anderem selbständig aushandeln, wer wem die Vorfahrt gewährt. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz soll außerdem ein Google Maps für die Fabrik entstehen. Damit können dann Verkehrsströme in der Werkshalle prognostiziert und die Fahrzeuge auf die optimale Route geschickt werden.

Die Mobilfunktechnik 5G könnte Roboter auch in die Lage versetzt, nicht nur ein Hindernis wahrzunehmen, sondern dieses auch zu identifzieren. Davon berichtet Professor Jens Lambrecht, Geschäftsführer von Gestalt Robotics – einem Startup, das Automatisierungslösungen entwickelt. Handelt es sich bei dem Hindernis etwa um einen Menschen, fährt der Roboter mit dem entsprechenden Mindestabstand um diesen herum. 5G gewährleistet dabei kurze Reaktionszeiten und die notwendige Bandbreite.

Mobile Roboter könnten dann neben dem Transport noch ein paar Zusatzaufgaben übernehmen. Auch hier kommt wieder der Sehsinn ins Spiel. Mobile und mit Kameras ausgerüstete Roboter können für so genannte Lost-and-found-Anwendungen eingesetzt werden. Wenn ein bestimmtes Objekt in den Werkshallen vermisst wird, macht sich der Roboter auf die Suche. Dank elektronischem Auge und künstlicher Intelligenz ist er in der Lage, das Objekt ausfindig zu machen.

Das lässt sich aber auch zur Inventarisierung nutzen. „Ein Roboter kann zum Beispiel in ein Lager fahren und dort prüfen, wie viele Objekte eines bestimmten Typus vorhanden sind“, sagt Lambrecht. Wird eine bestimmte Zahl unterschritten, wird automatisch ein Prozess ausgelöst, um den Bestand aufzufüllen.

Somit sorgen Roboter also dafür, dass nicht nur die Regale in den Supermärkten, sondern auch in den Fabriklagern stets gefüllt sind.

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