Schulen brauchen Mut und Mindset

Bild: geralt/Pixabay

In den Schulen ist es wie in anderen Bereichen. Technik allein bringt noch keinen digitalen Wandel. Bildung muss neu gedacht werden und kreative Ideen zulassen. Das zeigt eine Diskussion auf dem Digital-Gipfel.

„Der Digital-Gipfel ist die zentrale Plattform zur gemeinsamen Gestaltung eines zukunftsfähigen Rahmens für den digitalen Wandel“, heißt es ziemlich sperrig auf der Website des Bundeswirtschaftsministeriums. Und genauso lief der – dieses Mal virtuelle – Gipfel auch größtenteils ab: Staatssekretäre, Firmenchefs und die Vorsitzenden von großen Verbänden redeten viel und sagten wenig.

Es gab aber kleine Lichtblicke. In einem Panel zur Digitalisierung der Schulen sprachen doch tatsächlich Menschen aus der Praxis. Leute, die tagtäglich mit den Themen zu tun haben, über die auf dem Gipfel sonst so großzügig viele Worthülsen verstreut wurden.

In dem Panel kamen eine Schulleiterin, ein männlicher Kollege von ihr sowie eine Schülerin zu Wort. Und deren Botschaft lautete kurz zusammengefasst etwa so: Lasst uns nach der Pandemie bitte nicht so weitermachen wie vor der Pandemie. Lasst uns die Chancen der Digitalisierung nutzen.

„Es geht um ein Neudenken von Lernen in einer digitalen Kultur“, machte Micha Pallesche klar, Leiter der Ernst-Reuter-Gesamtschule in Karlsruhe. Wenn digitale Technologien zur Wissensvermittlung eingesetzt würden, müssten sich die Bildungsziele verändern. Seine Kollegin Maike Schubert, Leiterin der Stadtteilschule Hamburg-Winterhude, pflichtete ihm bei. Man dürfe nicht versuchen, digital alles eins zu eins abzubilden, „was wir bisher in der Präsenz gemacht haben“.

Will heißen: Ein Unterricht, an dem Schüler über Webkonferenzen oder Lernplattformen teilnehmen, muss anders gestaltet sein, als wenn alle zusammen in einem Klassenraum sitzen. Das gilt zum Beispiel für die Art und Weise, wie Leistung gemessen wird. Man müsse dabei über alternative Formen sprechen, so Micha Pallesche.

Positive Erfahrungen in der Home-Schooling-Zeit

Die Schulen haben in der Home-Schooling-Phase viele Erfahrungen gesammelt – darunter zu einem großen Teil positive. So berichtete Maike Schubert, dass zum Beispiel die Beteiligung an den Elternveranstaltungen größer war als vorher, weil diese hybrid stattfanden – also sowohl digital als auch in der klassischen Präsenzform.

Die Digitalisierung sorgt auch für zeitliche Flexibilität. „Die Zehntklässler haben ihren Schultag einfach nach hinten geschoben“, so Maike Schubert. „Sie haben erst mittags angefangen, aber dafür bis abends gearbeitet.“

Daneben wurden die Schüler selbstständiger. Einige hätten sich Sporteinheiten ausgedacht und Morgengymnastik online angeboten.

Über mehr Eigenständigkeit freut sich auch Viola Reichel, die auf dem Digital-Gipfel stellvertretend für die Schüler der Ernst-Reuter-Schule sprach. „Wir haben in der Corona-Zeit sehr viel gelernt, unsere Kompetenzen sind gewachsen.“ Und dann folgen Sätze, die viel über die Sinnhaftigkeit des klassischen Bildungswesens aussagen. „Man hofft immer, dass man in der Schule etwas fürs Leben lernt. Und genau das wurde uns in dieser Zeit vermittelt. Wir konnten eigenständig Erfahrungen machen und Neues lernen.“

Wie die Schulleiter ist auch sie der Meinung, dass diese Erfahrungen genutzt werden sollten. „Ich hoffe, dass die Entwicklung so weiter geht. Und dass wir eine Mischung aus dem Digitalen und dem Analogen herstellen können.“

Mehr Offenheit für Innovationen

Doch dafür braucht es eben eine neue Denke. „Mindset“ war einer der Begriffe, den viele der Menschen als wichtig angaben, die das Panel virtuell verfolgten. Er tauchte in einer entsprechenden Wortwolke auf. Für Micha Pallesche hätte das Wort in dieser Wolke allerdings noch viel größer sein müssen. Er machte klar, dass Mindset für ihn ein Schlüsselbegriff ist.

Maike Schubert sieht das genauso. Sie wünscht sich dafür aber „ein innovationsfreudigeres Klima“. Schulen, die bereits digital vorangegangen sind, sollten die Möglichkeit bekommen, zum Beispiel in Netzwerken weitere Ideen auszuprobieren. Sie hofft, dadurch auch anderen Schulen die Angst zu nehmen. Auch Mut ist also in der Digitalisierung gefragt.

Genauso wie Freiräume. Denn wenig ist für Innovationen so schädlich wie feste Vorschriften. Und die sind in der Schule die Regel – nicht nur für die Schüler. Jacob Chammon, Vorstand im Forum Bildung Digitalisierung, sprach auf dem Digital-Gipfel von einem Korsett aus Vorgaben, das die Schulleiter einschnüren würde. Dieses müsse gelöst werden, damit Schulen Neues ausprobieren könnten.

Große Unterschiede zwischen den Schulen in Deutschland

Wenn die Freiräume vorhanden sind, benötigen Lehrkräfte freilich auch die Kompetenzen, um mit den digitalen Möglichkeiten kreativ umzugehen. Dass diese häufig fehlen, darauf wies Jacob Chammon ebenfalls hin. Diesen Mangel hat auch der aktuelle Bildungsbericht offen gelegt – ebenso wie die Tatsache, dass diese Kompetenzen in der Lehrerausbildung zu kurz kommen.

Jacob Chammon wünscht sich eine stärkere Vernetzung aller Beteiligten, um voneinander zu lernen. Denn es gebe große Unterschiede zwischen den Schulen in Deutschland. Die Einrichtungen von Micha Pallesche und Maike Schubert seien keine typischen Beispiele. Es gebe Schulen, die noch nicht so weit vorangekommen sind. „Und die brauchen Unterstützung“, so Jacob Chammon.

Mindset, Vernetzung, Mut, Offenheit – in den Schulen zeigt sich, was schon in verschiedenen Industrien deutlich geworden ist. Technologien sind die Basis für die Digitalisierung. Doch um diese erfolgreich umzusetzen, braucht es mehr. Wenn aber Unternehmen beim digitalen Wandel scheitern, merken sie dies relativ schnell am mangelnden wirtschaftlichen Erfolg. Versäumnisse im Bildungssektor zeigen sich dagegen oft erst in Jahrzehnten. Und sie lassen sich auch nur sehr langsam wieder beseitigen. Reden auf Gipfeltreffen reichen dafür nicht.

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