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Digitale Plattformen, intelligente Verkehrssteuerung – Technik kann ein wichtiges Instrument für eine nachhaltige Mobilität sein. Aber sie allein reicht nicht aus. Die Politik muss die nötigen Weichen für eine neue Normalität stellen.
Die Digitalisierung scheint ja für fast alles eine Lösung zu sein – auch für die großen aktuellen Krisen. Als die Corona-Pandemie hierzulande ausbrach, konnten die meisten von uns ins Home Office flüchten. Dank Webkonferenzen und Firmenzugang per Internet sind wir nun in der Lage, auch von zu Hause aus unsere Jobs zu erledigen.
In der Klimakrise hoffen auch viele auf das Digitale. Smartes Verkehrsmanagement soll die Mobilität der Zukunft nachhaltig machen. Auf digitalen Plattformen sollen die Bürger genau das Verkehrsmittel wählen, das zum jeweiligen Zweck gerade passt – und somit seltener allein im privaten PKW sitzen. Der TÜV-Verband hat vor kurzem in einem Positionspapier eine intelligente Verkehrssteuerung mithilfe von Datenanalyse gefordert, mit der sich unter anderem Staus und negative Umwelteinflüsse reduzieren ließen.
Doch sich einfach auf die Technik zu verlassen, reicht nicht aus. Das glaubt zumindest Lisa Ruhrort vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. „Die Zukunft der Mobilität wird nicht von Technologie bestimmt“, sagte sie auf einem Online-Forum des Karlsruher Institut für Technologie (KIT). „Es ist genau wie in der Vergangenheit“, sagt Ruhrort, „wir bekommen die Mobilität, die wir uns bauen.“ Damit spricht sie die Massenmotorisierung des vorigen Jahrhunderts an. Diese sei vor allem ein großes gesellschaftliches und politisches Projekt gewesen. So habe es zum Beispiel politische Programme gegeben, die Städte so umzugestalten, dass sie für den Autoverkehr geeignet sind. Und rechtliche Rahmenbedingungen begünstigten das Auto. Als Beispiel nennt sie die Straßenverkehrsordnung, deren vorrangiges Ziel es ist, für einen flüssigen Verkehr zu sorgen.
Mit dem Zwei-Tonner zum Bäcker
Das hat zu der Normalität geführt, die wir heute kennen. Und zu der auch gehört, „dass wir es für normal halten, mit einem zwei Tonnen schweren Fahrzeug zum Bäcker zu fahren“, wie Ruhrort verdeutlicht.
Diese Normalität muss sich ihrer Meinung nach ändern. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, müssten bis 2050 insgesamt deutlich weniger Fahrten gemacht werden. Und generell weniger Autos auf den Straßen unterwegs sein.
Dafür braucht es ein so genanntes multioptionales Verkehrssystem, das viele verschiedene Arten der Fortbewegung berücksichtigt. Dabei werden Car-Sharing und ähnliche Angebote eine wichtige Rolle spielen – ebenso der öffentliche Nahverkehr und das Fahrrad. Doch die digitalen Plattformen alleine – und seien sie noch so smart – bringen die Menschen nicht automatisch dazu, die neuen Mobilitätsangebote auch zu nutzen.
Technik macht SUVs attraktiver
Technik kann dem sogar im Weg stehen, wie Johannes Schuler vom Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) auf der gleichen Veranstaltung zeigte. Viele Innovationen im Automobilbereich würden sowohl den physischen als auch den kognitiven Aufwand für den Menschen verringern. Will heißen: Sie erleichtern dem Autofahrer das Leben. Dazu zählen etwa das Navigationssystem, der Parkassistent oder der Abstandsregeltempomat.
„Das kommt besonders den großen PKW im urbanen Bereich zugute – also den SUVs“, so Schuler. Es wäre deutlich unattraktiver mit den Riesengefährten durch die Städte zu fahren, wenn es die technischen Helferlein nicht gäbe. Technologie sorgt also dafür, dass wir auch weiterhin lieber ins Auto steigern.
So wie im 20. Jahrhundert ist jetzt wieder die Politik gefordert. Sie muss laut Ruhrort die Rahmenbedingungen für eine neue nachhaltigere Normalität schaffen. „Wir brauchen eine umfassenden Wandel“, so Ruhrort.
Das sei aber mit vielen politischen Herausforderungen verbunden. Konzepte, in denen Fahrzeugen miteinander geteilt werden, müssten mehr Platz in den Städten erhalten. Private Fahrzeuge entsprechen weniger. Auch Ride-Pooling-Angebote, bei denen sich mehrere Nutzer einen Fahrservice teilen, ist laut Ruhrort ein wichtiger Baustein in einer nachhaltigen Mobilität.
Der Lockdown war ein riesiges Sozialexperiment
Apropos neue Normalität: Lisa Ruhrort sieht in der Corona-Krise eine große Chance, die nötigen politischen Weichenstellungen hinzubekommen. „Die Erfahrungen des Lockdowns haben uns alle aufgerüttelt“, so Ruhrort. „Wir haben an einem riesigen Sozialexperiment teilgenommen, bei dem wir erlebt haben, dass sich Normalität ändern kann.“ Die Pandemie habe Handlungsspielräume offen gelegt, „von denen wir vorher gar nicht wussten, dass wir sie haben“.
Doch auch die neuen Möglichkeiten sind keine Selbstläufer. Home-Office-Konzepte und die verstärkte Nutzung von Webkonferenzen führen zwar dazu, dass bestimmte Dienstreisen jetzt wegfallen. Aber sie sorgen nach Meinung von Ruhrort nicht automatisch dafür, dass der Verkehr insgesamt geringer wird. Denn: Gleichzeitig stehen mehr Zeit und Ressourcen für andere Reisen zur Verfügung. Die neuen Arbeitsformen müssten daher auch politisch so unterstützt werden, dass sie zu einer Verkehrsvermeidung beitragen.
Autonomes Fahren – geteiltes Fahren
Auch einer der großen viel diskutierten Mobilitätstrends wird nicht unweigerlich zu einer Verkehrsentlastung führen – im Gegenteil. Das autonome Fahren werde eher einen Anstieg der Verkehrsnachfrage verursachen, meint Ruhrort. „Wenn wir diesen Trend für eine nachhaltige Zukunft nutzen wollen, müssen wir auch hier die politischen Weichen stellen“, sagt Ruhrort. „Wir müssen zum Beispiel dafür sorgen, dass in den Städten autonome Autos schwerpunktmäßig geteilte Fahrzeuge sein werden.“
Neben schlauen Fahrzeugen und intelligenten Verkehrssystemen fehlt dann also nur noch eine Komponente für den nachhaltigen Erfolg: der smarte Mensch.
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