Bild: Alexas_Foto/Pixabay
Vor kurzem hat mir meine Frau etwas erklärt. Das finde ich gar nicht schlimm. Sie kennt sich in vielen Bereichen besser aus als ich. Von Finanzanlagen über Literatur bis zum – ja, genau – Kochen. Wenn ich jemals auf dem Stuhl gegenüber von Günther Jauch sitzen sollte, wäre sie auf jeden Fall einer meiner Telefonjoker.
Aber Webkonferenzen? Es ging um ein Conferencing-Tool, das ich vorher noch nie genutzt hatte. Und als nach dem zweiten Klick nicht alles so lief, wie ich mir das vorgestellt hatte, meldete sich der Choleriker in mir. Also setzte meine Frau sich neben mich, legte ihre Hand sacht auf meine, mit der ich gerade die Maus gegen die Wand schmeißen wollte, zog den Laptop zu sich und zeigte mir, wie ich neue Teilnehmer einlade, wie ich die Konferenz aufzeichnen kann und noch ein paar andere Dinge.
Ich schreibe seit knapp 20 Jahren über IT. Meine Frau ist Grundschullehrerin. Dadurch ist sie natürlich prädestiniert fürs Erklären. Aber Webkonferenzen?
Esstisch wird zum virtuellen Roundtable
Ja, Webkonferenzen. Denn seit Corona uns in unsere Häuser und unsere Kinder aus den Schulen verbannt hat, trifft sie sich fast jeden Tag mit ihren Kolleginnen in Online-Meetings. Unser Esstisch ist zum virtuellen Roundtable geworden. Daneben stellt sie Dokumente, Videos und Bilder auf eine Lernplattform im Internet, damit ihre Schüler mit Unterrichtsmaterialien versorgt sind.
Innerhalb kürzester Zeit hat sie sich mit den digitalen Tools vertraut gemacht. So gut, dass sie mir nun erklärt, wie man damit umgeht. Für ihre Kolleginnen und Kollegen gilt das gleiche. Auch die haben Hefte und Stifte beiseite gelegt und nutzen die Möglichkeiten von Padlets, Moodle oder wie die vielen Angebote sonst heißen.
Nicht jede oder jeder macht das mit dem gleichen Enthusiasmus und der gleichen Leichtigkeit. Aber es funktioniert. Und als eine Lehrerin etwas überfordert war von den vielen Funktionen, die so eine Webplattform bietet, hat sich ein Kollege von seiner Frau dabei filmen lassen, wie er selbst mit dem Online-Werkzeug arbeitet. Schritt für Schritt. Das Video hat er dann quasi als Tutorial an seine Kollegin geschickt.
Nachhilfe von der Tochter
Auch unsere 15-jährige Tochter webkonferenzt. Mit ihrer Klasse und ihren Lehrern. Und obwohl sie die Zeit ohne klassischen Unterricht genießt und seit Wochen deutlich entspannter ist als vor Corona – was das Zusammenleben mit einem Teenager für alle Familienmitglieder ebenfalls entspannter macht – freut sie sich über die virtuellen Zusammenkünfte. Ihre Aufgaben holt sie sich ebenfalls auf einer Online-Plattform ab. Auch sie könnte mir ohne weiteres zeigen, wie man mit welchem Online-Tool umgeht.
Es ist zwar nicht so außergewöhnlich, dass ein Teenie seinen Eltern die digitale Welt erklärt. Aber ihre Lehrer sind offensichtlich auch in der Lage, sich in dieser zu bewegen.
Jahrelang wurde der Bildungssektor belächelt ob seiner digitalen Rückständigkeit. Und jetzt würde zumindest ich aufgrund meiner direkten Beobachtung sagen, dass es an der mangelnden Kompetenz der Personals zumindest nicht liegt. Ähnlich wie viele Arbeitnehmer in der freien Wirtschaft sind Lehrer nun gezwungen, sich mit der modernen Kommunikationstechnik auseinanderzusetzen. Und es scheint zu klappen.
So gut, dass meine Frau auch mir gegenüber nun ihr neu erworbenes Know-how demonstriert. Sie mag eine gute Lehrerin sein. Aber ich war und bin noch immer kein guter Schüler. Und das fortgeschrittene Alter sowie die Überzeugung, dass sie sich beim Thema Webkonferenz eigentlich in meinem Revier befindet, machen es nicht besser. Also lasse ich dem Choleriker in mir freien Lauf, sitze wieder allein vor dem Rechner und suche nach der Stummfunktion in meinem Webconferencing-Tool. In der Corona-Krise ist nicht nur digitale Kompetenz gefordert – sondern auch Demut und Gelassenheit.
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