Bild: Matthias Friel
Das Startup Nect ermöglicht es Menschen, sich per App zu authentifizieren. So können sie zum Beispiel online Bankkonten eröffnen oder Verträge abschließen. Im Interview erklärt Gründer Benny Bennet Jürgens, wie sich Dokumente per Selfie unterschreiben lassen, an welchen Stellen dabei Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt und warum junge Unternehmen in Deutschland einen Standortnachteil haben.
Herr Jürgens, was genau macht Nect?
Wenn ich ganz klassisch in eine Bank gehe, um ein Konto zu eröffnen, lege ich dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin meinen Personalausweis vor. Das funktioniert natürlich im Onlinegeschäft nicht so einfach. Hier übernehmen wir die Identifizierung des Nutzers. Sei es jetzt für eine Bank-Kontoeröffnung, den Zugriff auf eine elektronische Patientenakte oder den Abschluss eines Telekommunikationsvertrags. Der Anwender filmt mit seinem Smartphone sein Ausweisdokument und sein Gesicht ab. Unsere Maschine überprüft dann, ob es sich um einen originalen Ausweis handelt und das Gesicht dazu passt. Um die Gleichwertigkeit der Vor-Ort-Kontrolle herzustellen, weisen wir zusätzlich noch nach, dass diese Aufnahmen genau in diesem Moment stattfinden und dass es sich um eine lebendige Person und nicht zum Beispiel um eine Maske handelt. So lässt sich nahezu alles, was physisch vor Ort möglich ist, auch im Fern-Kanal machen.
Lässt sich die Technologie von Nect mit der vergleichen, die an Flughäfen zur automatischen Passkontrolle verwendet wird?
Ja, die automatischen Gateways am Flughafen, in die ich meinen Ausweis schiebe und die ein Foto von mir machen – dieses Prinzip haben wir quasi in ein Smartphone gepackt. Denn alle Ausweisdokumente müssen dafür einen bestimmten Standard unterstützen – MRTD, also Machine Readable Travel Documents. Und mit unserer Technologie lässt sich dieser Standard nun auch für die Privatwirtschaft nutzen.
Und die Kunden von Nect sind Unternehmen, die diese Technologie für ihre eigenen Prozesse nutzen, um wiederum den eigenen Kunden die Authentifizierung zu erleichtern?
Wir haben ein B2B2C-Modell. Unsere Kunden sind zum Beispiel Versicherungsunternehmen, Banken und Telekommunikationsunternehmen. Die Dienstleistung erbringen wir aber für deren Nutzer. Das heißt, der Nutzer verwendet unsere App, um sich beispielsweise gegenüber der Telekom auszuweisen. Und für diesen Service werden wir von der Telekom bezahlt. Der Nutzer legt sein Ausweisdokument digital in der App ab und kann diese dann weiterverwenden. Mit der App kann er sich danach dann auch bei einem anderen Unternehmen ausweisen. Er trägt also quasi eine digitale Brieftasche mit sich, in der sein Ausweisdokument abgelegt ist.
Maschine kann Lippen lesen
Arbeitet Nect dafür mit Künstlicher Intelligenz?
Nicht für alles. Wenn es um das Ausweisdokument geht, dann gibt es dabei Dinge, die nicht mit einer künstlichen Intelligenz überprüft werden, sondern einfach mit einem klassischen Algorithmus. Zum Beispiel: Hat sich das Hologramm verändert? Aber es gibt Funktionen, für die man eine künstliche Intelligenz braucht. Wenn etwa während der Selfie-Aufnahme der Nutzer aufgefordert wird, zwei per Zufall ausgewählte Worte zu sagen. Die Maschine ist dabei in der Lage, Lippen zu lesen. So können wir feststellen, dass es sich um einen lebendigen Menschen handelt.
Können Sie das genauer erklären?
Die Maschine überprüft, ob sich das Gesicht entsprechend der Worte bewegt. Das kennt man als Mensch ja auch selbst. Wenn ich mich jetzt mit Ihnen unterhalte und die Tonspur nicht zu dem passt, was Sie an meinen Lippen erkennen, dann würde Ihnen auch irgendetwas nicht richtig vorkommen. Und das haben wir der Maschine beigebracht. Dabei kommt künstliche Intelligenz zum Einsatz. Diese KI wurde mit einem gewissen Sub-Set an Informationen trainiert. Und daraus kann die Maschine immer ableiten: Wurde jetzt gerade das Richtige gesagt?
Ist denn mit der digitalen Brieftasche noch mehr möglich?
Grundsätzlich ist für uns die Idee der ID Wallet entscheidend, in der man seine digitale Identität wiederverwenden und verwalten kann. Und damit wird man künftig auch Dokumente wie Kredit- oder Arbeitsverträge rechtsgültig digital signieren können. Dafür haben wir gerade ein neues Produkt auf den Markt gebracht. Mit diesem lässt sich ein Dokument quasi mit einem Selfie unterschreiben. Wir überlegen aber auch, einzelne Teile unserer Technik separat anzubieten – wie zum Beispiel unsere Gesichtserkennung. Diese bietet ein sehr hohes Sicherheitsniveau. Und warum sollte man dafür auf Produkte aus China oder den USA setzen, wenn es auch eine deutsche Technologie gibt?
Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, Nect zu gründen?
Ich habe vor der Gründung von Nect zehn Jahre für einen Versicherungskonzern gearbeitet, wo ich zuletzt für die App-Entwicklung verantwortlich war. Dort war quasi das Problem der Identitätsfeststellung mein eigenes Problem. Ich habe mich dann im Markt umgeschaut und dafür keine Lösung gefunden, die wirklich befriedigend war. So haben wir, mein Mitgründer Carlo Ulbrich und ich, uns 2016/2017 daran gemacht, eine bessere Lösung zu entwickeln.
Die Menschen sind gewöhnt, alles von zu Hause zu erledigen
Ist eigentlich durch die Pandemie das Interesse an Ihrer Technologie gewachsen?
Ich würde sagen: Der Bedarf wurde gesteigert. Ich glaube, grundsätzlich wird es früher oder später dazu kommen, dass kaum noch jemand gerne in eine Filiale geht, um zum Beispiel ein Bankkonto zu eröffnen oder mit dem Versicherungsvertreter zu sprechen. Aber die Corona-Pandemie hat die Leute einfach gar nicht mehr vor diese Wahl gestellt. Und ich glaube, dass dieser Bedarf bestehen bleibt. Die Menschen sind jetzt einfach daran gewöhnt, alles von zu Hause erledigen zu können.
Wie sehen Sie eigentlich die Rahmenbedingungen in Deutschland für eine Technologie wie die von Nect?
Ich glaube, dass wir deutliche Standortnachteile haben – also wenn ich uns jetzt zum Beispiel mit einem britischen Wettbewerber vergleiche. Dort ist man sehr progressiv, was das Ausprobieren von innovativen Methoden betrifft. Bei uns sind die regulatorischen Hürden sehr hoch. Das Gute ist: Da die Latte hier immer so hoch gelegt wird, müssen wir zwar länger kämpfen. Aber wenn man sie einmal übersprungen hat, dann hat man gegenüber den anderen Wettbewerbern in der EU auch einen Vorteil. Denn dann erfüllt man den höchsten Standard, den es in Europa gibt.
Aber diese Anfangszeit muss man erst mal überstehen.
Ja, genau. Man muss also erst mal zwei oder drei Jahre überleben, um diese extrem hohen Hürden überhaupt nehmen zu können. Und das ist natürlich für junge Unternehmen schwierig, die eine Innovation voranbringen möchten. Da ist es besser, zunächst in einem Land wie UK zu starten und im ersten Jahr bereits Umsätze zu generieren, weil man dort die Innovation schon in den Markt bringen kann. Dann zieht man das Sicherheitsniveau Schritt für Schritt nach oben und erfüllt irgendwann auch die strengen Vorgaben in Deutschland.
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