„Es gibt eine große Akzeptanz für technische Hilfsmittel“

Justin ist ein Roboter, der Weltraumpioniere auf dem Mars ebenso unterstützen soll wie hilfsbedürftige ältere Menschen in ihrem Haushalt. Dafür ist er mit zwei Armen und Händen sowie Kameras ausgerüstet. Dank einer mobilen Plattform, auf der er sitzt, kann er sich frei bewegen. Entwickelt wurde Justin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Im Interview erklärt Berthold Bäuml, wie Justin seine Fähigkeiten erlernt, warum Pflegekräfte begeistert sind und was er von manchen Auswüchsen humanoider Robotertechnik hält. Bäuml leitet am DLR das Labor für autonome lernende Roboter des Instituts für Robotik und Mechatronik.

Berthold Bäuml
Bild: DLR

Auf welchem Stand ist Justin derzeit?

Laut dem IEEE-Spectrum Blog (Zeitschrift des IEEE, der Fachorganisation für Ingenieurwissenschaften und angewandte Wissenschaften, Anmerk. d. Autors) ist Justin weltweit der wohl am weitesten entwickelte zweiarmige humanoide Roboter. Er besitzt mittlerweile alle sensorischen und motorischen Fähigkeiten, die wir Menschen auch haben. Was die Grundfähigkeiten der Mechanik, der Elektronik und der Sensorik betrifft, könnte er sich im Prinzip so verhalten wie ein Mensch. Es fehlt nur die Intelligenz.

Das heißt?

Er lernt nun mithilfe von KI, wie er in der Welt richtig agiert – zum Beispiel einen Gegenstand in der Hand geschickt zu drehen. Außerdem trainieren wir auch die sensorischen Fähigkeiten weiter. Die Roboterhand besitzt eine Haut, die genauso oder sogar noch feinfühliger ist als die menschliche. Die Signale, die entstehen, wenn er mit der Hand über einen Gegenstand streicht, sind sehr komplex. Obwohl es die Haut schon seit zehn Jahren gibt, lassen sich die Signale erst jetzt mit dem Deep-Learning-Verfahren auswerten. Justin kann jetzt mit einer Zuverlässigkeit von über 90 Prozent 36 verschiedene Materialien erkennen.

Cloud macht Reinforcement Learning möglich

 

Warum ist das erst jetzt möglich?

Weil uns jetzt die enorme Rechenleistung zur Verfügung steht, die dafür nötig ist. Wir nutzen dafür Cloud-Technologie – zum Beispiel von Google. Dadurch können wir auch mit Deep Reinforcement Learning arbeiten.

Das heißt, der Roboter lernt durch eigenes Ausprobieren – wie ein Mensch.

Richtig, der Roboter lernt, indem ihm gesagt wird, ob die Aktion gut oder schlecht war. Aber wir sagen ihm nicht, wie er diese ausführen soll – zum Beispiel das Bewegen eines Objekts in der Hand. Je besser ihm in diesem Fall das Drehen gelingt, umso mehr Belohnung bekommt er. Das können wir in der Robotik sogar effizienter durchführen als ein Mensch.

Warum?

Wir nutzen dafür auch Simulationen. Der Roboter muss nicht alles in der realen Welt tun. Wir simulieren Hunderte von Welten parallel, in denen er sich gleichzeitig bewährt und seine Strategie verbessert – als ob es den Roboter 100 mal gäbe.

Wo wird Justin einmal zum Einsatz kommen?

Ein Anwendungsgebiet ist die Raumfahrt. Wenn wir irgendwann mal mit Menschen auf dem Mars landen möchten, dann muss vorher eine Infrastruktur aufgebaut werden. Dabei werden Roboter zum Einsatz kommen, die dort in einer relativ unbekannten Umgebung komplexe Dinge aufbauen werden. Dafür müssen sie sehr intelligent sein. In den Fertigkeiten, die dabei verlangt werden, müssen sie nahe an die des Menschen herankommen. Die Fähigkeiten, sich ständig an neue Umgebungen anzupassen, wird aber auch auf der Erde benötigt.

Wo denn?

In der Servicerobotik. Das ist ein weiterer wichtiger Bereich, in dem wir mit Forschungsprojekten aktiv sind.

Ältere Menschen bleiben selbstständig

 

Wie sehen dabei die Einsatzgebiete konkret aus?

Roboter wie Justin könnten im Haushalt helfen – als Assistenten für ältere Menschen. Der Roboter erledigt tagsüber Hausarbeiten oder Hol- und Bringdienste. Morgens und abends kommt dann der Pflegedienst. Die älteren Menschen könnten auf diese Weise länger in ihren Wohnungen bleiben und ihr Leben selbstständiger bestreiten.

Ist eine Wohnung ähnlich herausfordernd wie der Mars?

Sie ist eine ähnlich komplexe und unvorhersehbare Umgebung. In einer Wohnung, in der sich auch andere Menschen aufhalten können, ist es unbedingt erforderlich, dass ein Roboter die Umwelt mit seiner eigenen Sensorik wahrnimmt und interpretiert. Das stellt sowohl die gleichen Anforderungen an die Robotik – nämlich geschickte Arme und Hände – als auch an die KI, wie zum Beispiel das Sich-selbst-Aneignen von Fähigkeiten.

Was sind dabei die größten Herausforderungen für Justin?

Dinge, die eigentlich schon ein kleines Kind kann – also die Umwelt wahrzunehmen und zu interpretieren und in ihr zu bewegen, ohne irgendwo anzustoßen. Dabei muss er für sich Fragen beantworten wie zum Beispiel „Was ist das Hindernis?“, „Wo ist der freie Raum?“, „Wo kann ich fahren?“. Das ist komplizierter als autonomes Fahren auf einer Straße. Denn Straßen sind übersichtlicher. Wohnungen sind viel schlimmer.

Sie hatten vorhin auch das Bewegen eines Objekts in der Hand genannt.

Genau, auch das ist eine Herausforderung: Gegenstände zu greifen, die er vielleicht noch nie gesehen hat. Mit den Fingern die richtigen Kräfte auszuüben. Das fällt uns als Mensch leicht. Aber mit klassischen Algorithmen sind solche Tätigkeiten nicht beherrschbar. Wenn Justin dies jedoch selbst lernt, ist diese Herausforderung zu bewältigen. Dann sind seine Bewegungen auch viel runder und natürlicher – also weniger eckig, wie man das sonst von Robotern kennt. Der Mensch versucht ja auch, solche Bewegungen möglichst sanft und energieeffizient zu machen.

Wie ist die Akzeptanz von Robotern wie Justin? Nehmen zum Beispiel Pflegekräfte eine solche Unterstützung an?

Wir arbeiten in einem Projekt in Garmisch mit der Caritas zusammen. Die Pflegedienstleister dort sind extrem offen für Servicerobotik, weil sie viel zu wenig Nachwuchskräfte haben. Sie brauchen Unterstützung. Aber nicht für die Pflege selbst, sondern eben zum Beispiel für Hol- und Bringdienste. Die sollen von Robotern übernommen werden. Auch die älteren Leute sind begeistert, wenn der Roboter einfach zu bedienen ist und wenn er ihnen hilft, zu Hause länger selbstständig zu sein. Es gibt eine große Akzeptanz für technische Hilfsmittel, die es dem Nutzer erlauben, selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden zu leben.

Es ist sehr interessant, dass auch die älteren Menschen die Roboter akzeptieren.

Auch diese Generation beschäftigt sich sehr gerne mit der Technik, wenn sie den direkten Nutzen sieht. Denken Sie nur an iPhones und iPads. Nutzer über 80 finden diese Geräte mittlerweile super, weil sie dadurch zum Beispiel einfacher mit ihren Familien in Kontakt bleiben. Man braucht da aber auch eine hohe Sensibilität. Wenn man falsche Bilder in den Köpfen der Leute erzeugt, dann kann das zu einer großen Abwehrhaltung führen.

Was meinen Sie damit?

Wir kommunizieren genau, worum es uns geht – und dass es nicht um Pflege geht. Denn Pflege ist eine hochmenschliche Tätigkeit. Da spielt zum Beispiel Zuwendung eine wichtige Rolle. Das ist nichts, was ein Roboter leisten kann. Die Caritas-Mitarbeiter werden dagegen körperlich entlastet – etwa weil der Roboter ihnen das Herausheben des Patienten abnimmt. Eine solche Tätigkeit hält ein Mensch ja gar nicht bis zur Rente aus. Die Mitarbeiter freuen sich aber auch aus einem anderen Grund über die Roboter.

Und der wäre?

Ihre Arbeit wird dadurch auch aufgewertet. Jobs, bei denen Technik mit im Spiel ist, sind besser angesehen und werden besser bezahlt. Die Pflegekräfte hoffen, dass ihr ganzer Berufsstand aufgewertet wird, wenn sie mit Hightech arbeiten. Das ist auch ein bisschen verrückt, weil eigentlich der Dienst am Menschen viel komplexer ist.

Absurditäten, die im Fernsehen gezeigt werden

 

Es gibt Untersuchungen, wonach allzu menschenähnliche Roboter abgelehnt werden. Man spricht dabei vom so genannten „Uncanny Valley“ – dem „unheimlichen Tal“.

Das ist richtig. Auf der einen Seite wirken Roboter abstoßend, die zu sehr wie Maschinen wirken. Auf der anderen Seite: Wenn man versucht, die Roboter zu menschenähnlich zu machen, dann werden sie gespenstisch. Es gibt Absurditäten in diese Richtung – zum Beispiel in Japan – die ständig im Fernsehen gezeigt werden. Offensichtlich landet man mit solchen Dingen sehr schnell im Fernsehen. Wir tun dies aber absichtlich nicht.

Das heißt konkret?

Wir bauen die Maschinen deshalb als Humanoide, weil es die ideale Form ist, um sich in der gleichen Umgebung zu bewegen, in der der Mensch normalerweise agiert. Dabei ist man mit zwei Armen, zwei Beinen und mobil am besten ausgerüstet. Wir lassen die Roboter aber nicht menschlicher aussehen als notwendig ist. Unser Roboter hat kein Gesicht, sondern nur zwei Kameras. Er sieht freundlich aus. Aber wir tun nicht so, als hätte er Emotionen. Daher haben wir das Problem der fehlenden Akzeptanz überhaupt nicht.

Ist Justin schon konkret irgendwo im Einsatz?

Zur Zeit befinden wir uns noch im Forschungsstadium. Aber im Rahmen der bayerischen Forschungsinitiative Smile wird Justin in den nächsten Jahren regelmäßig im Altenheim der Caritas in Garmisch eingesetzt werden. Nach der fünfjährigen Laufzeit des Projekts soll er dann in einigen Seniorenwohnungen auch selbstständig arbeiten. Es gibt bisher noch nicht so viele Roboter, mit denen dies möglich ist.

Titelbild: DLR

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