Bild: notnixon/Pixabay
Datenschutz, alter Freund. Ich mag dich. Und das schon seit langer Zeit. Ich war immer auf deiner Seite. Ich habe nie Punkte in Supermärkten oder anderen Läden gesammelt, um nicht zum gläsernen Kunden zu werden. Ich habe mich lange gegen Whatsapp gewehrt – zumindest so lange, bis ich die Isolation nicht mehr aushielt und nicht noch weitere Klassentreffen oder Bolzplatzspiele mit meinen Fußballkumpels verpassen wollte.
Ich habe sogar viele Male auf Pressekonferenzen in den USA Fragen gestellt, in denen das Wort Privacy vorkam. Ich habe mich dabei nicht vom inneren Augenrollen der anwesenden Manager beirren lassen. Und ich hatte auch kein Problem, mich damit – und nicht nur aufgrund meines Akzents – eindeutig als deutscher Journalist zu outen. Auch als die DSGVO viele verwirrte Menschen hinterließ und mittelständische Unternehmen sicherheitshalber ihre komplette Webpräsenz offline stellten, habe ich zu dir gehalten.
Das war sogar noch so, als viele Menschen zu Beginn der Pandemie forderten, dass man sich ein Beispiel an asiatischen Staaten nehmen solle, die ihre Erfolge bei der Eindämmung des Virus scheinbar auch den deutlich weniger strengen Datenschutzregeln zu verdanken hätten. Selbst dann war ich noch auf deiner Seite.
Aber in den vergangenen Wochen hat sich bei mir ein Gefühl der Entfremdung bemerkbar gemacht. Es waren zunächst nur kurze Schübe. Das erste Mal spürte ich dieses Gefühl, als mir klar wurde, dass die Corona-Warn-App so nützlich ist wie eine Gießkanne beim Waldbrand. Und dass dafür vor allem du verantwortlich bist, mein lieber Datenschutz. Das Gefühl kehrte wieder, als ich hörte, dass deinetwegen viele wichtigen Infos zum Infektionsgeschehen nicht weitergegeben werden dürfen – zum Beispiel, wo sich jemand das Virus eingefangen hat. Dabei wäre es ja gar nicht schlecht, wenn man das wüsste.
Aber endgültig sicher über eine Krise in meiner Freundschaft zu dir war ich mir, als ich von deinem Einfluss auf das Home Schooling erfuhr. Eine Schule in Berlin fuhr ihr gesamtes digitales Konzept zurück – aus Angst, nicht datenschutzkonform zu sein.
Dann forderte ein Verbund aus mehreren Organisationen – darunter etwa die Lehrergewerkschaft GEW, der Chaos Computer Club und die Vebraucherzentrale – , dass an Schulen in Baden-Württemberg die Webkonferenz-Software eines US-amerikanischen Anbieters im Home Schooling nicht mehr verwendet wird. Grund: Du, lieber Datenschutz, kommst bei dem Einsatz dieser Software laut den Verbänden zu kurz. Stattdessen sollten die Schulen auf Opensource-Systeme setzen, so die Forderung.
Die Bedenken mögen ja vielleicht berechtigt sein. Aber unzählige – auch viele deutsche – Unternehmen arbeiten mit kommerziellen Webkonferenz-Plattformen aus den USA. Und ich glaube nicht, dass du diesen Firmen vollkommen egal bist.
Außerdem muss ich immer wieder an die Lehrer denken, die – ohnehin mittlerweile am Ende ihrer Kräfte – sich nach den Weihnachstferien mit quelloffener Webkonferenz-Software rumplagen mussten, die nicht stabil lief. Und die sich mit wütenden Eltern auseinandersetzen mussten, deren Kinder sich mit einer quelloffenen Webkonferenz-Software rumplagen mussten, die nicht stabil lief. Während meine Tochter problemlos mit ihren Lehrern und Mitschülern über die Plattform des besagten Software-Herstellers kommunizierte.
So, und nun frage ich mich: Wie stehe ich jetzt zu dir, mein lieber Datenschutz? Du bist mir nach wie vor wichtig. Und ich möchte dich nicht verlieren. Aber deine Dominanz sorgt leider dafür, dass bestimmte Dinge nicht funktionieren. Und das sind Dinge, bei denen wir uns zur Zeit nicht leisten können, dass sie nicht funktionieren. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde: Aber ich glaube, ich muss unsere Beziehung auf den Prüfstand stellen.
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