Mobilität in Deutschland: wie David gegen Goliath

In Halle 5 grüßt die Zukunft. Die IAA hat der New Mobility eine eigene Halle spendiert. In den Foren diskutieren Menschen in T-Shirts und weißen Sneakers über künftige Mobilitätskonzepte.
Neben IT-Anbietern wie Microsoft oder SAP ist auch IBM mit einem Stand vertreten. Dort steht die erste vollelektrische Harley Davidson, die trotz E-Antrieb so viel Krach macht, dass man sich kaum unterhalten kann. Daneben steht eine Rennbahn im Carrera-Format, die demonstriert, wie Autos dank selbstlernender Software die optimale Fahrspur finden.
Am IBM-Stand geht es wie in der gesamten Halle 5 um Transformation – um den Wandel der Autoindustrie in der Produktion, der Kundenbeziehung und der Mobilität generell. Dass die Branche damit noch ihre Schwierigkeiten hat, wird dann im Gespräch mit Dirk Wollschläger und Mario Lochmüller sehr schnell deutlich. Wollschläger ist als General Manager für IBMs Automotive-Geschäft zuständig. Lochmüller ist CEO von Moovster – einem Spin-off von BMW, das mit IBM-Technik aus der Cloud eine Plattform für Mobility-as-a-Service entwickelt hat. Statt den Mitarbeitern einen Firmenwagen zu finanzieren, können Unternehmen ihrem Personal ein Mobilitätsbudget anbieten. Das wird dann für verschiedene Mobilitätsdienste angerechnet – vom Carsharing über die Bahn bis zum E-Roller.

Die Markenbindung gerät enorm unter Druck

Herr Wollschläger, Sie sprechen von mehreren Transformationsbereichen, die es derzeit in der Automobilindustrie gibt. Dazu zählen Sie, dass sich das Produkt in Services verwandelt. Was meinen Sie damit?
Wollschläger: Ich spreche dabei von den neuen Mobilitätsdiensten. Es wird nicht jeder in der Branche gerne hören, aber die Markenbindung gerät enorm unter Druck. Die Nutzer fokussieren sich stärker auf den Service und weniger auf die Marke. Wenn ich von A nach B kommen möchte, ist es weniger relevant, ob ich dies mit einem BMW, einem VW oder einem Daimler mache. Ich nehme dann vielleicht auch die Bahn, den Bus und auf der letzten Meile einen E-Roller.

Dirk Wollschläger Bild: IBM

Damit ich als Anwender aber diese Mobilitätsdienste möglichst einfach nutzen kann, müssten sie über eine zentrale Plattform verfügbar sein. Über den Aufbau solcher Plattformen wird zwar schon seit vielen Jahren gesprochen, doch bei der Umsetzung hakt es.
Wollschläger: Diese Plattformen funktionieren umso besser, je mehr Menschen daran teilnehmen, je mehr Daten verfügbar sind. Der Austausch der Daten findet heute aber nicht markenübergreifend statt. Das gilt auch für Verkehrsinformationen. Es wäre ja sinnvoll, wenn ein Mercedes-Fahrer nicht nur von anderen Mercedes-Fahrzeugen, sondern auch von Autos anderer Marken Informationen zu Staus oder Gefahren im Verkehr erhalten würde. Deswegen ist es aus meiner Sicht schon ein großer Schritt, dass Daimler und BMW ihre Mobilitätskonzepte jetzt zusammenlegen – sicher auch aus dem Gedanken heraus, dass beide zu klein sind, um im globalen Konzert mitspielen zu können.

Sie meinen gegen Facebook, Google und Co.?
Wollschläger: Wenn wir das Ganze nur regional sehen, werden wir gegen die Plattform-Provider aus den USA nie ankommen. Denn die haben immer den Vorteil, dass sie schon Millionen oder Milliarden Menschen auf ihrer Plattform haben. Da brauchen wir in Europa eine andere Sichtweise, auch in Bezug auf das Kartellrecht. In Europa haben wir immer die Angst, dass ein Anbieter zu groß werden könnte. Dabei kämpfen wir aus europäischer Sicht schon längst wie David gegen Goliath.

Über diese Dinge wird schon lange diskutiert, aber trotzdem scheinen die Autobauer Probleme zu haben, gedanklich in der neuen Mobilitätswelt anzukommen.
Wollschläger: Die Automobilbranche verkauft ein Produkt, das entweder ein Grundbedürfnis oder ein Luxusbedürfnis befriedigt – das mich von A noch B bringt oder mir Spaß macht. Und wenn es um die neuen Plattformen geht, denken die Automotive-Unternehmen, dass diese genauso genutzt würden wie ein physisches Produkt. Das ist aber nicht so.

Sondern?
Wollschläger: Die Frage ist: Wie muss ich mein Angebot permanent anreichern, damit es attraktiv bleibt? Das hat die Automobilindustrie noch nicht verinnerlicht. Mario und sein Team beispielsweise fügen auf Moovster immer wieder neue Services hinzu und holen neue Partner an Bord.

Lochmüller: Die Automotive-Unternehmen sehen Services eher noch als Add-on. Sie hübschen das Auto mit zusätzlichen Diensten auf. Und mit dem Fahrzeug verdienen sie ihr Geld. Beim Plattformgeschäft ist das anders. Dort muss man permanent Mehrwert liefern und im Idealfall schafft man es, diesen mit einem Subscription-Modell zu verknüpfen – wie zum Beispiel bei Netflix. Aber auch Netflix muss permanent attraktiv bleiben, sonst springen die Nutzer ab. Die Kunst ist, die User Experience ständig auf einem hohen Level zu halten. Dabei muss man sich auch die Frage stellen: Was bedeutet denn heutzutage Premium?

Mario Lochmüller Bild: Privat

Was meinen Sie damit?
Lochmüller: Steht Premium im Bereich Mobilität immer noch für das schicke Leder im Auto oder die perfekten Spaltmaße? Oder ist es nicht eher, unkompliziert, planbar und nachhaltig von A nach B zu kommen? Eine völlige neue und reibungslose Mobility Experience zu erleben, die auch in den an meine Mobility Journey angrenzenden Bereichen intelligente und auf meine persönlichen Needs abgestimmten Mehrwert liefert?

Man kann besser sein als Google

Aber wie können wir denn in Deutschland gegen eine IT-Company wie Google punkten, die mir in Google Maps schon jetzt die passenden Mobilitätsdienste für meinen Weg von A nach B zeigen kann?
Lochmüller: Plattform muss ja nicht heißen, von Anfang an alles aus einer Hand anzubieten und gleich die eierlegende Wollmichsau zu bauen. Man muss sich doch nur mal anschauen wie Google oder auch Amazon mal angefangen haben. Die standen ja auch nicht vom ersten Tag an dort, wo wir sie heute wahrnehmen. Wir müssen in Deutschland und auch in Europa verstehen, dass wir viel mehr partnerschaftlich zusammenarbeiten sollten und endlich starten müssen – das Ganze gemeinsam. Das heißt, vorhandene Assets intelligent kombinieren – denn darin steckt eine riesige Chance. Dann könnte man sich die Kunden teilen und sofort für alle Beteiligten Added Value schaffen. Wenn auf einer Mobilitätsplattform zum Beispiel auch Booking.com mit dabei ist, kann der Nutzer neben seiner Fahrt auch gleich ein Zimmer buchen. Aber die ganzen Mobility-Provider wollen nicht zusammenarbeiten und sich größtenteils auch nicht für Third-Party-Provider öffnen, das ist ein riesiges Problem. Dabei kann man die Details betreffend durch die vorhandenen Assets sowie das vorhandene Branchen-Know-How besser sein als Google, man muss sich nur jetzt auf den Weg machen. In zwei oder drei Jahren ist es vielleicht zu spät.

Wollschläger: Deswegen würde ich mir wünschen, dass sich dem Thema New Mobility nicht nur eine Halle auf der IAA widmet, sondern zwei oder drei Hallen. Und dass dort auch die Zulieferer vertreten sind. Grundsätzlich sollte man sich industrieübergreifend zusammensetzen und darüber diskutieren, wie wir uns hier in Deutschland als Mobilitätsstandort aufstellen wollen.

Titebild: Strehlitz

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