Off the record: Irgendwas mit Blockchain

Titelbild: Jarmoluk/Pixabay

„Ich bin ein bisschen aufgeregt heute“, sagt Peter Müller. „Macht mir ja sonst nicht so viel aus, vor Leuten zu sprechen“, sagt er zu den Leuten, vor denen er jetzt sprechen soll. Er steht auf einer Bühne in einer coolen Location, die sonst für Kunstausstellungen genutzt wird.

Die Menschen, die den Rednern auf der Bühne zuhören, sitzen nicht auf Stühlen, sondern auf würfelartigen Hockern. Sie trinken Espresso, Latte mit Soja-Milch oder Limonade aus Flaschen – verschiedene Sorten, aber auf jeden Fall ist Ingwer drin.

Sie wollen etwas über einer Technologie hören, die zur Zeit so hip ist, wie die Location, in der sie sitzen: die Blockchain. Mit der Blockchain gibt es mal wieder eine Technologie, die alles anders und vor allem besser machen soll. Und die Welt rettet. Jeder will jetzt etwas mit der Blockchain machen. Aber nur wenige verstehen sie.

Auch Peter Müller – wie ich ihn mal nennen möchte – will über die Blockchain sprechen. Er will den Leuten, die vor ihm auf ihren Würfeln sitzen, erklären, wie seine Firma – ein bekanntes Unternehmen aus der Automobilbranche – die Blockchain einsetzt. Besser gesagt: Er soll das erklären.

Denn das ist der Grund, weshalb er aufgeregt ist. Müller ist IT-Fachmann und er berichtet, dass es einen gewissen Druck gegeben habe – zum einen irgendwas mit der Blockchain in seinem Unternehmen zu machen. Und zum anderen, nun eine funktionierende Lösung zu präsentieren.

Blockchain bereitet Schmerzen

„Aber das Ganze ist nicht so einfach“, sagt Müller. „Uns bereitet der Begriff Blockchain …äh.. schon Schmerzen. Wir mussten die Technologie halt ins Unternehmen bringen. Und Fachanwendungen damit …äh… umsetzen. Wenn man uns fragt, dann werden wir …äh.. auch immer eine Blockchain-Lösung verkaufen. Denn das ist halt unser Auftrag. Äh…aber manchmal bringt das dem Unternehmen …äh… gar nicht so viel.“

Während ich seine Worte höre, frage ich mich, wie die Ehrlichkeit bei den Mitarbeitern des IT-Anbieters ankommt, der diese Veranstaltung organisiert hat. Und der möglichst viele der hier Anwesenden davon überzeugen möchte, dass die Blockchain die Technologie ist, die alles anders und vor allem besser macht. Und die Welt rettet.

Doch Peter Müller sieht nicht aus wie ein Weltenretter. Er steht auf der Bühne und wirkt wie ein Schuljunge, der beim Klauen eines Kaugummis in einem Supermarkt erwischt wurde. Jetzt muss er die Sache den Eltern beichten.

Am besten keine Fragen stellen

„Am liebsten wäre es mir, wenn Sie gar keine Fragen stellen würden“, sagt er dann zu den Menschen auf den Würfeln. „Denn wir haben selbst so viele Fragen, die wir immer noch nicht beantworten können“, spricht er in das Lachen der Zuhörer hinein. Als die Leute sich wieder beruhigt haben, sagt er: „Aber Sie…äh… dürfen natürlich …also… schon Fragen stellen.“

Vielleicht erinnert er mich aber auch an einen Schüler, denke ich mir, der vom Lehrer über Karl den Großen abgehört wird und sich nicht sicher ist, ob er sich am Abend vorher nicht blöderweise die Geschichte von Alexander dem Großen durchgelesen hat.

Peter Müller spricht weiter. Seine Sätze sind gespickt mit Konjunktiven. Und Wörtern wie „vielleicht“, „möglicherweise“ oder „irgendwie“.

„Mit der Blockchain lassen sich Lösungen aufbauen, die vielleicht mal einen Mehrwert für das Unternehmen bieten…wir mussten dem Fachbereich ein bisschen was bieten, damit die auf den Geschmack kommen, dass es vielleicht doch etwas sein könnte…wir haben dann ein System aufgebaut, dass so irgendwie zum Testen funktionieren könnte.“

Nach 20 Minuten hat er es überstanden. Sein Vortrag ist beendet. „Gibt es noch Fragen?“, wirft er den Zuhörern entgegen. Doch die gibt es nicht. Völlig überraschend, denke ich mir.

Die Leute klatschen höflich. Und Peter Müller könnte jetzt von der Bühne gehen. Er hat das Abhören vor der Klasse oder die Beichte vor den Eltern überstanden. Es könnte vorbei sein.

Frauen sind auch anwesend

Doch da fällt Peter Müller noch etwas ein. „Was ich noch sagen möchte“. Er blickt in die Runde. „Ich freue mich…also…bei den anderen Veranstaltungen, auf denen ich war, gab es einen riesigen Überschuss an Männern im Publikum. Hier ist das nicht so. Hier gibt es auch viele Frauen im Raum, was mir super gefällt. Warum gefällt mir das?“ Die Leute auf den Würfeln schauen sich an und warten auf die Antwort.

„Das zeigt, dass die Technologie tatsächlich angekommen ist“, sagt Peter Müller. „Das zeigt so ein bisschen die Reife der Technologie.“

Ein Raunen geht durchs Publikum. Die Damen, von denen es ja so viele gibt, runzeln die Stirn. Aber nicht nur die. Was will er damit sagen?, denken sie sich. Was soll das heißen? Die Blockchain ist jetzt schon so weit, dass selbst Frauen sie kapieren? Aus dem Raunen wird ein Lachen.

Peter Müller steht auf der Bühne und bereut ganz offensichtlich, dass er nicht gleich nach dem Applaus gegangen ist. „Also…“, stammelt er, „es ist tatsächlich so, dass äh, es waren sonst halt immer Männer…eine komplexe Technologie…äh…komplex verstehen zu können äh, äh…ich finde das jetzt viel besser, dass äh, äh…“. Er fährt sich mit der Hand über die Stirn, „dass wir das…äh… jetzt gemeinschaftlich gestalten…“

Der Moderator springt auf die Bühne. Er versucht die Situation zu retten. Herr Müller habe sicher gemeint, dass die Blockchain nicht mehr nur eine Sache für die Technik-Nerds sei. Das Publikum klatscht noch mal. Peter Müller geht von der Bühne.

Dann kommt der nächste Redner. Er erzählt davon, wie cool die Blockchain ist. Dass diese Technologie alles anders und vor allem besser machen wird. Und die Welt rettet. Und ich beginne, Peter Müller zu vermissen.

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